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27. Juli 2024Eine deutsch-chinesische Annäherung
Die Indikatorfrage des World Values Survey »Generally speaking,
would you say that most people can be trusted or that you can’t be too careful in dealing with people?« ist modern und brisant in Zeiten von Bank- und Wirtschaftskrisen, Terror und Krieg.
Ein Beitrag von Dr. Barbara Geldermann, erschienen in Mondial Moments. 28. Jahrgang, 2022. S. 17-18
Die Indikatorfrage des World Values Survey[1] »Generally speaking, would you say that most people can be trusted or that you can’t be too careful in dealing with people?« ist modern und brisant in Zeiten von Bank- und Wirtschaftskrisen, Terror und Krieg. Jedoch wird seit einiger Zeit zunehmend an der Validität und Reliabilität dieser generalisierten Indikatorfrage gezweifelt, wobei auf die von Kultur zu Kultur unterschiedliche Vorstellung von Vertrauen hingewiesen wird. Was steckt hinter dem Begriff Vertrauen, einem Gefühl, das alltäglich unsere Entscheidungen beeinflusst und Grundvoraussetzung für jede erfolgreiche Beziehung, sei es wirtschaftlich, politisch oder privat, ist. Unterscheidet sich das Verständnis von Vertrauen kulturell? Da es in diesem Artikel um eine deutsch-chinesische Sicht geht, ist die Kernfrage: Existiert eine speziell chinesische Sichtweise von Vertrauen? Doch bevor wir uns dieser Sichtweise nähern, werfen wir zunächst einen Blick auf die eigene.
Vertrauen aus deutscher Sicht
Die Verwendung des Begriffs Vertrauen ist in den verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen unterschiedlich. Grundlegend in der Soziologie ist die Definition von Niklas Luhmann. Demnach ist Vertrauen ein Mechanismus zur Reduktion sozialer Komplexität
und zudem eine riskante Vorleistung. Dort, wo die rationale Abwägung von Informationen – aufgrund unüberschaubarer Komplexität, wegen Zeitmangels zur Auswertung oder des gänzlichen Fehlens von Informationen überhaupt – nicht möglich ist, befähige Vertrauen zu einer auf Intuition gestützten Entscheidung[2].
Die Nachbarskinder
Wer andern gar zu wenig traut, / Hat Angst an allen Ecken;
Wer gar zu viel auf andre baut, / Erwacht mit Schrecken.
Es trennt sie nur ein leichter Zaun, / Die beiden Sorgengründer;
Zu wenig und zu viel Vertraun / Sind Nachbarskinder.
Wilhelm Busch (1832–1908)
Zu wenig Vertrauen führt nach Wilhelm Busch zu »Angst an allen Ecken«, und wer zu viel vertraut, »erwacht mit Schrecken«. Dieses Spannungsfeld von Vertrauen ist es, das uns als zentrales Element im menschlichen Leben und Arbeiten begleitet. Dafür gilt es, ein ausgewogenes Verhältnis zu finden. Gleichwohl: Ohne ein gewisses Maß an Vertrauen ist weder ein gesellschaftliches Miteinander noch eine Zusammenarbeit denkbar. Unser Vertrauen variiert, je nachdem, ob wir in »vertrauter« Umgebung im Wohnzimmer sitzen oder nachts in dunklen Ecken einer Großstadt unterwegs sind. Vertrauen wir einer Situation oder einer Person, dann gehen wir davon aus, dass der weitere Verlauf sich positiv entwickelt und wir noch eine Handlungsalternative haben. Das unterscheidet Vertrauen von Hoffnung. Vertrauen beschreibt auch die Erwartung an Bezugspersonen oder Organisationen, dass der weitere Verlauf auf gemeinsamen Werten oder Moral basiert. Das Fundament für Vertrauen ist Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit.
Vertrauen aus chinesischer Sicht
Frau Ma, Unternehmerin aus China, befragt nach der aktuellen Vertrauenslage in China, sagt: »Erst Vorkasse, dann Vertrauen«. Guo Zengquan, Dolmetscher, meint, dass der Begriff xinren für Vertrauen aktuell in China nicht mehr ausreiche, sondern der Begriff chengxin, was soviel wie »aufrichtiges Vertrauen« bedeutet, diskutiert und verwendet wird. Die zentrale Bedeutung für Vertrauen ist xin, das in Kombination mit weiteren Schriftzeichen jeweils unterschiedliche Bedeutungsnuancen des Vertrauens zum Ausdruck bringt. In der heutigen chinesischen Vertrauensforschung sind die am häufigsten verwendeten Begriffe für Vertrauen xinren (Vertrauen), xinyong (Kredit- oder Vertrauenswürdigkeit) und chengxin (Aufrichtigkeit). Das Wort Vertrauen betont in China gemäß Lin und Li im Sinne von chengxin die Aufrichtigkeit und Integrität, im Westen eher die Vertrauenswürdigkeit (»credit«).[3] Hieran zeigt sich sehr schön, wie unterschiedlich der Schwerpunkt für gegenseitiges Vertrauen gelagert ist. In China ist die Veranlagung des Menschen entscheidend, ob man ihm vertrauen kann. Das heißt, ob es sich um einen aufrichtigen Menschen handelt, oder nicht. Um das festzustellen, ist es wichtig den Menschen oder die Organisation zuerst näher kennenzulernen. Es gibt kein Vertrauen im Vorschuss.
Annäherung
»Mache keinen Gebrauch von Leuten, an denen du zweifelst, und zweifle nicht an den Leuten, von denen du Gebrauch machst.«
(»Yi ren bu yong, yong ren bu yi.«)
Altes chinesisches Sprichwort
Die chinesische Vertrauensstruktur beruht auf persönlichem Vertrauen, in westlichen Gesellschaften vorwiegend auf der Gleichheit präziser, im Zusammenhang mit der chinesischen Vertrauensstruktur von beziehungsbasiertem Vertrauen (guanxi xinren) zu sprechen. Nur die gute Beziehung zwischen Personen garantiert den positiven Verlauf einer Zusammenarbeit. Im Westen beruht dagegen gegenseitiges Vertrauen auf einer Einhaltung von Gesetzen und Regeln, die Persönlichkeit spielt eine zweitrangige Rolle. Der Vertrag wird unterschrieben, in dem die gemeinsamen Regeln fixiert werden und dass diese Regeln eingehalten werden, darauf wird vertraut.
Für einen kultursensiblen Umgang ist es daher wichtig, die jeweilige Sichtweise von Vertrauen bei einer deutsch-chinesischen Zusammenarbeit einzubeziehen. Auf diese Weise kann auf beiden Seiten eine gute Vertrauensbasis entstehen.
[1] www.worldvaluessurvey.org/wvs.jsp (Abrufdatum: 13.09.2016)
[2] Luhmann, Niklas (1989): Vertrauen: Ein Mechanismus der Reduktion sozialer Komplexität. Enke Verlag, Stuttgart
[3] Lin Bin, Li Ping (2005): Bijiao shiyu zhong de Zhong Xi xinrenguan (Übers.: Chinesische und Westliche Ansichten zu Vertrauen aus einer vergleichenden Perspektive). In: Journal of Sun Yatsen University (SocialScience Edition), 45 (3), S. 101–107