Chinesen coachen – eine interkulturelle Expedition von Xiang Hong Liu
28. Oktober 2024Ursprünglich als Methode für die Softwareentwicklung entstanden, findet „Agile“ – so das englische Schlagwort – heute in vielen verschiedenen Branchen Anwendung bei der Projektplanung. Wie populär (…)
Ursprünglich als Methode für die Softwareentwicklung entstanden, findet „Agile“ – so das englische Schlagwort - heute in vielen verschiedenen Branchen Anwendung bei der Projektplanung. Wie populär ist agiles Projektmanagement in Japan? Welche Hürden gibt es und wie lassen sie sich überwinden?
Was ist „Agile“?
Klassisches Projektmanagement funktioniert nach der Wasserfallmethode, bei der ein Projekt vorab detailliert geplant und dann entlang der Vorgaben umgesetzt wird. Das macht eine schnelle Anpassung an veränderte Bedingungen schwierig.
Genau dieses Manko gleicht das agile Vorgehen aus. Der Weg zum Ziel wird nicht im Voraus definiert, er entwickelt kontinuierlich. Dazu teilt man Projekte etappenweise in kurze, zeitlich beschränkte Zyklen (Sprints) auf, die die Teams vorantreiben. Neue Erkenntnisse und Anforderungen fließen sofort in den nächsten Sprint mit ein. So entsteht ein dynamisches System mit kurzen Reaktionszeiten, bei dem kontinuierliche Planung, Ausführung, Bewertung und Anpassung im Mittelpunkt stehen.
Agiles Vorgehen ist ein Oberbegriff für eine Vielzahl von Ansätzen, zu denen unter anderem Scrum, Kanban und Lean zählen.
Japanische Wurzeln
Viele grundlegende Ideen der agilen Methodik wurden in Japan geboren. In den 50er-Jahren entwickelte Toyota das TPS (Toyota Production System): Schlanke und flexible Produktionsprozesse mit Fertigung nach dem "Pull-Prinzip“. Produziert wird nicht nach Plan, sondern nach aktuellem Bedarf. Auf diese Weise wird alles "Just-in-Time" hergestellt und geliefert.
Die Wurzeln von Scrum liegen in der Veröffentlichung aus „The New New Product Development Game“ der beiden japanischen Wissenschaftstheoretiker Hirotaka Takeuchi und Ikujiro Nonaka.
Kanban und Kaizen sowie bekannte Lean-Ideen wie die drei 3Ms stammen ebenfalls aus Japan: Muda (無駄, unnötige Arbeit), Muri (無理, unmögliche Arbeit) und Mura (斑, ungleiche Verteilung).
Bei so viel japanischem Einfluss darf man vermuten, dass agiles Projektmanagement in Japan an der Tagesordnung ist. Doch das trifft lediglich auf die Software-Branche zu. Große IT-Unternehmen wie Ricoh, NTT Data, NEC, SATORI und Hitachi bemühen sich verstärkt um die Anwendung der agilen Entwicklungsmethode. Betrachtet man alle Branchen, so geben nur gut 19% der japanischen Unternehmen an, agile Methoden überhaupt zu nutzen. Außerhalb der IT-Branche ist das Wasserfallprinzip also noch häufig anzutreffen. Doch auch hier gibt es Ausnahmen: Rakuten oder Mecari gehören zu den Vorreitern, die agiles Vorgehen mit Erfolg anwenden.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Japan Impulsgeber für die Entwicklung agiler Konzepte wie dem 2001 veröffentlichten „Agilen Manifest“ war, bei der großflächigen Umsetzung aber andere Länder – allen voran die USA – schneller waren.
Herausforderungen bei der Nutzung von agilem Projektmanagement
Agilität setzt ein großes Maß an Diskussionsfreude, Eigenverantwortung und Spontaneität voraus. In kurzen täglichen Meetings („Dailies“) findet ein schneller Austausch statt. Was läuft gut? Was nicht? Wo müssen wir anpassen? Welche Arbeitspakete ergeben sich? Die Arbeitseinheiten werden nicht selten auf einem Board veröffentlicht, von dem die Mitarbeitenden sich dann selbständig „bedienen“, die jeweilige Aufgabe erledigen und anschließend als erledigt markieren.
Diese Prozesse stellen die japanische Kultur vor einige Hürden:
Einem offenen, schneller Austausch stehen oftmals Hierarchiedenken und das Prinzip der indirekten Kommunikation entgegen. Eigene Vorschläge und Beobachtungen unumwunden zu äußern oder die Ideen anderer infrage zu stellen, ist in Japan nicht üblich. Das gilt vor allem dann, wenn wie in einem Meeting, viele Personen aus unterschiedlichen Hierarchieebenen versammelt sind. Je größer der Kreis und je stärker das Hierarchiegefälle, desto stärker die Zurückhaltung.
Ein weiteres Hemmnis kann im japanischen Detailfokus und der Risikominimierung liegen. Entscheidungen wollen in allen Einzelheiten durchdacht, abgewogen und in Hinsicht auf ihre Konsequenzen abgeklopft werden. Schnellschüsse, auch wenn sie morgen schon revidiert werden dürfen, gelten eher als verpönt.
Deutsche Firmen beklagen oft, dass sich die japanischen Mitarbeitenden in Dailies zu wenig engagieren und beitragen. Die japanischen Teammitglieder melden hingegen zurück, dass es ihnen aus den oben genannten Gründen schwerfällt sich spontan einzubringen und sie sich manchmal vom deutschen Tempo überrollt fühlen.
In der Umsetzungsphase finden Japaner oft den Umgang mit dem „To-Do“-Board schwierig. Sich selbst eine Aufgabe zuzuordnen und „Ownership“ zu reklamieren, ist keine Selbstverständlichkeit. Auch hier spielt der Wunsch nach Anweisungen und Details eine Rolle. Viele Japaner berichten, dass sie sich gerne besprechen würden: Bin ich eigentlich die richtige Person für dieses Arbeitspaket? Ist mein Chef einverstanden? Nehme ich womöglich jemand anderem etwas weg?
Chancen und Tipps für die Einführung von Agile in deutsch-japanischen Teams
Es gibt zahlreiche japanische Eigenschaften, die agiles Arbeiten begünstigen. Dazu zählen Teamfähigkeit, Aufmerksamkeit für andere und ein gutes Einfühlungsvermögen sowie eine hohe Lernbereitschaft. Zur Überwindung der oben beschriebenen Herausforderungen haben sich folgende Tipps bewährt:
- Sich in Meetings frank und frei zu äußern, mag für Japaner schwierig sein. Wer angesprochen und nach der eigenen Einschätzung gefragt wird, gibt aber Auskunft. Es kann in den Dailies hilfreich sein, die einzelnen Mitarbeitenden zu fragen, ob sie noch Ergänzungen haben. So kommen auch die japanischen Mitglieder zum Zuge, fühlen sich weniger überfordert und das Team profitiert.
- Es hilft, immer wieder deutlich zu machen: Entscheidungen erfolgen in kleinen Schritten und werden immer wieder und in kurzen Abständen an der Realität überprüft. Sie müssen also nicht im Vorhinein komplett durchdacht werden. Die Praxis ersetzt die Theorie. Fehler sind verzeihlich, weil schneller zu korrigieren.
- Falls die japanischen Kollegen unsicher sind bei der Übernahme von Ownership sind, lohnt es sich, in der Einführungsphase Arbeitspakete gemeinsam anzuschauen und zu besprechen: Worauf kommt es an? Wie gehe ich vor? Wo sind die Grenzen der persönlichen Verantwortung erreicht? Wann muss ich andere um Hilfe bitten? Im nächsten Schritt reicht es dann meistens, einen Ansprechpartner für Unklarheiten zu benennen, bevor alle in der Lage sind eigeninitiativ mit dem System zu arbeiten.
- Wichtig ist es außerdem, alle Hierarchiestufen in das Commitment für und die Schulung von Agilität einzubinden. Wer als Japaner an einen japanischen Chef berichtet, der sich nicht auskennt oder den Ansatz nicht gutheißt, wird sich schwerer tun.
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