Wenn ein Mitarbeiter ins Ausland versetzt wird, zieht meist die ganze Familie mit. Doch wie ergeht es den Kindern und Jugendlichen, die eine signifikante Zeitspanne ihrer Entwicklung in einer oder gleich mehreren fremden Kulturen verbringen?
“Die Third Culture Kids - auslandserfahren oder heimatlos?“ lautet der zweite Beitrag der dreiteiligen Serie „Leben zwischen den Welten“. Das Leben als Expat bedeutet für viele Menschen, sich in einer neuen Heimat einzurichten und dabei sowohl Chancen als auch Herausforderungen zu meistern. Doch dieser Lebensstil bringt neben einzigartigen Erfahrungen auch Hürden mit sich. Jaleh Nayyeri beleuchtet in dieser Serie viele verborgene Hürden, mit denen die Expats und ihre Familien oft allein gelassen werden.
Wenn ein Mitarbeiter ins Ausland versetzt wird, zieht meist die ganze Familie mit. Doch wie ergeht es den Kindern und Jugendlichen, die eine signifikante Zeitspanne ihrer Entwicklung in einer oder gleich mehreren fremden Kulturen verbringen? Sicher ist: Als so genannte Third Culture Kids haben sie die Chance, einzigartige Erfahrungen zu sammeln, die ihnen in der Heimat vorenthalten geblieben wären. Aber gibt es auch Wermutstropfen?
„Ich mochte unser Nomadenleben. Als Kind zog ich mit meiner Familie nach Japan, von dort nach Taiwan, Thailand, in die USA und schließlich nach Holland. In vielerlei Hinsicht ist es mir gut gelungen, mich immer wieder erfolgreich anzupassen. Neue Gerüche, fremdes Essen, wechselnde Schulkameraden und Nachbarn, ebenso wie kulturelle Eigenheiten und Blickwinkel. Ich habe im Laufe der Jahre sechs Sprachen gelernt, wundervolle Menschen getroffen, unglaubliche Orte besucht und auch viel über die Eigenheiten hinsichtlich Kommunikation und Verhalten in verschiedenen Kulturen erfahren. Alle paar Jahre mit meiner Familie umzuziehen, war für mich Normalität. Doch trotz all dieser Vorteile, die ich nicht missen möchte, bestand dieses Leben gleichzeitig auch aus einer einzigen Aneinanderreihung von Verlusten und Abschieden“, so beschreibt Madelaine ihre Erfahrungen im Rückblick. Eine Einschätzung, die erwachsene Expat-Kinder häufig äußern, wenn sie auf diese Lebensphase zurückschauen.
Viel ist bereits über international aufwachsende Kinder und Jugendliche geschrieben worden, auch zahlreiche Untersuchungen haben sich mit diesem Thema befasst. Doch was genau sind Third Culture Kids, die auch als TCK bezeichnet werden?
Wie wird man ein TCK?
Anthropologen und Soziologen fanden heraus, dass Kinder und Jugendliche, die durch einen oder mehrere Umzüge in einem anderen kulturellen Umfeld aufwachsen als ihre Eltern, bestimmte Merkmale ausprägen. Wichtig hierfür war, dass sie während ihrer Entwicklungsjahre, also der frühen Kindheit bis ungefähr zum 18. Lebensjahr, einer Kultur ausgesetzt waren, die nicht der Heimatkultur ihrer Eltern entsprach. Sie lernten eine andere Sprache, andere Sitten und Gebräuche – kurz: sie machten Erfahrungen, die Gleichaltrige im Heimatland in diesem Lebensabschnitt nicht machten.
Später, als Erwachsene, werden sie Adult Third Culture Kids (ATCK) genannt, da ihre Persönlichkeit durch ihre interkulturellen Erfahrungen nachhaltig geprägt ist – und auch bleibt. Ursprünglich wurde der Begriff der TCK in den 50er Jahren von Ruth Hill Useem und John Useem eingeführt, als sie die Lebensumstände von US-Amerikanern untersuchten, die für eine gewisse Zeit in Indien lebten. Die erste Kultur, auf die sich die Kinder der amerikanischen Expats in ihrer Identitätsbildung bezogen, war die Ursprungskultur ihrer Eltern, die zweite Referenzkultur war die des Gastlandes. Daneben stellte das Soziologenehepaar Useem die Bildung einer Art von neuer Kultur fest, bestehend aus amerikanischen als auch indischen Bestandteilen. Diese bezeichneten sie als Drittkultur. Sie beobachteten weiterhin, dass sich Expatriats im Ausland sehr gut mit anderen Ausländern verstanden, die wie sie aus einer anderen als der gegenwärtigen Gastkultur stammten. Als Grund vermuteten sie eben diese verbindende Drittkultur, die ihrerseits durch den Kontakt mit anderen Expats noch intensiviert wurde.
Die gestiegene Mobilität und Globalisierung führen heute zu den verschiedensten Konstellationen innerhalb von Familien – auch und gerade in kultureller Hinsicht. Um dies abzubilden, verwendet die Kulturwissenschaft heute auch den Ausdruck „cross-cultural kids“, um dieser Entwicklung Rechnung zu tragen. Damit erfährt der ursprüngliche Begriff der TCK eine Erweiterung. Neben den oben beschriebenen Drittkultur-Kindern gehören hierzu auch Kinder und Jugendliche aus bi- oder multikulturellen Beziehungen sowie Kinder, deren Eltern Minderheiten angehören oder Immigranten bzw. Flüchtlinge sind. Weiterhin werden Grenzgänger und Kinder, die auf eine Schule im Ausland gehen oder auch international adoptiert wurden, zu dieser Gruppe gezählt.
Third Culture Kids auf der Suche nach ihren Wurzeln
Third Culture Kinds leben rund um den Erdball: Von Bahrain bis Burundi, von Venezuela bis Vietnam.
Überall dort, wo ihre Eltern als Diplomaten, Journalisten, Mitarbeiter von Unternehmen, in Missionsstationen oder als Mitglied der Streitkräfte arbeiten. Sie haben einen eigenen Blick auf die Welt entwickelt. Ihre Errungenschaften bestehen in einer höchstpersönlichen Mischung aus kulturellen Erfahrungen und damit der Entwicklung einer eigenen interkulturellen Kompetenz. Sie haben früh gelernt, dass sich ein und derselbe Sachverhalt, je nach kultureller Ausrichtung, von verschiedenen Blickwinkeln betrachtet lässt. Dieser sehr weite Blick auf die Welt fällt jedoch häufig mit einem Loyalitätskonflikt hinsichtlich der Heimatverbundenheit („Wo komme ich her?!“) und der Ausbildung eigener Wertvorstellungen („Wie sieht mein eigenes Wertesystem aus?!“) zusammen. Gerade die Frage nach den Wurzeln kann in allen Phasen des Auslandsaufenthalts, oft aber auch erst später auftauchen, wenn der TCK zum ATCK geworden ist und längst seine eigenen Wege geht.
Kinder und Jugendliche stärken
Viele Chancen ergeben sich durch ein Leben im Ausland. Diese intensive Zeit können Familien dazu nutzen, enger zusammenrücken und mit gestärkten Bindungen wieder ins Heimatland zurückzukehren – und das mit einem prall gefüllten Koffer an gemeinsamen Erlebnissen und Erinnerungen im Gepäck. Dass eine Entsendung tatsächlich als große Bereicherung von allen empfunden wird, setzt jedoch einen sensiblen Umgang mit diesem Thema sowie eine gute Vorbereitung voraus, wodurch Erfahrungen und Eindrücke in der Familie gemeinsam geteilt und verarbeitet werden können.
Mit Kindern ins Ausland zu gehen, bedeutet, Third Culture Kids aufzuziehen. Für sie ist ein sicheres, tragfähiges Familienfundament besonders wichtig, weil ihr Leben zusätzliche Veränderungen und Herausforderungen beinhaltet. Selbst für kleine Kinder ist ein Umzug eine große Umstellung, auch wenn sie noch nicht in der Lage sind, das Ausmaß des Wohnortwechsels zu überblicken. Der regelmäßige Kontakt zu Familienmitgliedern, die nicht mitausgereist sind, der Besuch von Freunden (auch die der Kinder!) aus der Heimat oder das Beibehalten von Bräuchen wie Weihnachten und Ostern bieten einen kulturellen Anker. Er unterstützt junge Menschen darin, ihren Platz im Leben und zwischen den Kulturen zu finden.
Kinder und Jugendliche, die die Gelegenheit haben, in verschiedenen Kulturen aufzuwachsen, spüren den Unterschied, wenn sie Mitglieder ihrer daheimgebliebenen Peer Group treffen. Madelaine erinnert sich: „Ich bin von meinen Freunden verrückte Sachen gefragt worden, zum Beispiel, wie lange man nach Thailand mit dem Auto fährt oder ob ich Taiwanesisch spreche. Und einmal sogar, ob ich auf einem Elefanten in die Schule reite! Ich war bei meinen Freunden zu Hause eine Exotin“.
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